Es ist schon seltsam, welchen Einfluss Stress auf unser Verhalten hat. Wenn ich beobachte, wie wir unter Stress mit unserem Körper umgehen, wird es regelrecht paradox. Am Anfang, wenn der Workload wächst, die Tage voller werden und die Nächte kürzer, achten wir sogar noch besonders auf uns; vielleicht weil uns diese Flugzeug-Ansage einfach so präsent im Kopf rumflattert. Du weißt schon: „Im unwahrscheinlichen Fall eines Druckverlustes ziehen Sie zuerst eine Maske über Mund und Nase und helfen erst dann mitreisenden Kindern“. Wir wissen genau: In Krisenzeiten ist Self-Care wichtig. Ohne Gesundheit läuft nun mal nichts. Sonst bleiben Power und Erfolg auf der Strecke, ist Gefahr im Verzug. Heißt übersetzt: Bei zu viel Stress dürfen wir uns alle eine extra Portion Aufmerksamkeit schenken. Besonders gesund essen, viel trinken, gut schlafen. Logisch. Läuft nur dummerweise meistens andersrum. Ich erinnere mich an meine Zeit beim Film. Weil schon kurz vor Drehbeginn alle Abteilungen regelmäßig am Durchdrehen waren, hieß es spätestens ab 17 Uhr: „Und, Feierabendbierchen?“ Dabei wussten alle: Das sind keine Bierchen, das sind ganze Flaschen. Viele Flaschen. Und so schrubbten dann Aufnahmeleitung, Requisite, Kostümbild und Produktionsleitung angesäuselt Sonderschichten bis in die Nacht, noch bevor überhaupt die erste Klappe fiel. Am Set dann dasselbe: Gerade bei Nachtdrehs, die das System ohnehin auf den Kopf stellen, eben nichts Gesundes essen oder trinken und dann ab nach Hause. Im Gegenteil: Wenn man schon mit der Hundestaffel bei Nebel stundenlang im eiskalten Wald steht, dann bitte wenigstens nachts um halb drei noch mal ordentlich viel Kuchen mit heißer Schokolade on top. Wir wollen uns was gönnen, um innerlich warm zu werden, wenn draußen Frost herrscht. Und so landet dann bei Sonnenaufgang so manches Teammitglied bei dem tollen Bäcker mit den Champs-Élysée-Croissants, von denen wir uns spontan gleich zwei bestellen, mit doppelten Espresso samt Aspirin Plus C. Will sagen: Wir machen das Gegenteil von dem, das uns guttun würde. Ist in anderen Branchen bestimmt genauso. Wer lange genug seinen Körper als Rennwagen benutzt, behauptet irgendwann voll Überzeugung, dass er leider keine Zeit mehr zum Tanken hat. Dabei kennen wir sehr wohl die Wahrheit: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“, murmelt irgendwo in uns eine Stimme. Dieselbe, die auch weise nickt bei: „Wenn du wirklich keine 10 Minuten Zeit zum Meditieren findest, meditiere lieber 30 Minuten“, alte buddhistische Weisheit. Wir dürfen umdenken, wenn es eng wird für uns – weil es sonst nämlich zu eng wird. Meditieren, bewusst atmen, es uns schön machen. Baden, Obst essen, tief schlafen, Pausen machen, runterkommen.
Versteh mich richtig: Auch ich hatte mein Morgenritual Ende letzten Jahres irgendwann fallenlassen. „Keine Zeit!“, habe ich mir glaubhaft versichert, „das kann ich mir nicht auch noch leisten, nach nur 3 Stunden Schlaf!“ Blödsinn natürlich. Denn wahr ist doch eher: „Ich kann es mir nicht leisten, es ausfallen zu lassen! Und so saß ich dann doch wieder auf der Matte und habe mich langsam wieder aufgeladen. Jeden Tag ein bisschen mehr. Lohnt sich vielleicht, mal in Friedenszeiten einen kleinen Notfall-Pakt mit uns selbst zu schließen, damit wir ihn parat haben, wenn das nächste Chaos kommt. „Ruhig Braune“, kann ich mir dann sagen. Du hast keine Zeit? Okay. Dann nimm sie dir. Mach einen Boxenstopp. Jetzt erstrecht. Denn der tollste Rennwagen bleibt nun mal liegen ohne Benzin, aus einem leeren Brunnen kann man nichts schöpfen und aus einem leeren Kopf eben auch nichts. Sei lieber gut zu dir. Ist ohnehin immer die beste Wahl. Wie war das? Die längste Beziehung haben wir immer noch mit uns selbst. Darauf mal ne Apfelschorle.